Viele Blog-Einträge
der letzten Monate befassen sich mit Achtsamkeit und dem Slow-Movement. Überall
liest man von Meditationsweisen, Yoga und Time-Out. Insgesamt gliedert sich
diese Achtsamkeits-Debatte ja auch sehr gut in Ansprüche an Nachhaltigkeit und
ökologischem Handeln. Logischerweise lässt sich unsere Verschwendung nur
eindämmen, wenn wir achtsamer, bewusster konsumieren und lernen, innezuhalten
und dankbarer zu sein, für das, was uns die Natur gibt, um uns von ihr zu
ernähren.
Nun habe ich das
Gefühl, dass die bisherige Bewegung, mindestens seit der industriellen
Revolution, vermutlich aber auch schon früher, in eine ganz andere Richtung
geht. Wir sollen immer produktiver werden, mehr in weniger Zeit schaffen und
darauf sind Wirtschaft und Industrie ausgelegt. Errungenschaften wie Wasch-
oder Spülmaschine, vom Mikrowellengericht zur Videokonferenz sind allesamt
Erfindungen, die uns helfen, Zeit zu sparen. Nicht erst seit den Grauen Männern
in Michael Endes Momo erkennen wir, dass die gesamte Maschinerie auf einem
Trugschluss begründet ist. Man hat nicht mehr Zeit, das zu tun, was einem gut
tut, sondern man erledigt einfach mehr. Einerseits möchte ich natürlich nicht
mehr meine Wäsche über einem Waschbrett im Holzzuber wringen, andererseits
denke ich, dass vermeintlich „einfachen“ Tätigkeiten viel mehr Aufmerksamkeit
und Respekt zukommen sollte.
Hier muss ich an Marx’ These der
Entfremdung denken, die mir schon immer ziemlich einleuchtend erschien. Die
meisten unserer heutigen Tätigkeiten sind wenig produktiv. Wir bedienen Knöpfe,
schreiben auf Plastik-Tastaturen, unser Leben, auch beruflich, wird immer
abstrakter. Und heraus kommt? Nichts. Oder selten etwas Greifbares und wirklich
Befriedigendes. Es entsteht selten der von Mihaly
Csikszentmihalyi beschriebene Zustand des “flow”, Multi-Tasking macht dies
unmöglich. Interessanterweise ist unserem stetigen Streben nach Produktivität
mit der Einführung des Taylorismus der Grundstein gelegt worden, der allerdings
– grob vereinfacht, ich bin kein Experte – besagt, dass sich die Produktivität
steigern lässt, wenn die Arbeit in Schritte aufgeteilt wird und sich jeder auf einen
Abschnitt konzentriert. Multi-Tasking ist hier also eher unerwünscht.
Heutzutage steht das Essen auf dem Herd, die Waschmaschine kümmert sich um die
Wäsche, während wir ab und an umrühren, erledigen wir die Steuer, telefonieren
zwischendurch mit dem Steuerberater und schreiben unseren Freunden, um den
kommenden Abend zu planen. Und so geht es einen ganz großen Teil der Zeit. Kein
Wunder also, dass sich so absurde Produkte den Weg bahnen müssen, wie eine „Offline-Time
App“, in der das Handy mal künstlich zu einer Auszeit zwingt. Wie paradox und
krank es eigentlich ist, dass ein technisches Gerät mich daran erinnern muss,
dass ich auch ohne es auskommen kann ist glaube ich jedem klar.
Nun
ist die Frage, ob die ganze Debatte über Achtsamkeit und Quality-Time
(Anglizismen bedeuten in der Regel genau das Gegenteil von Auszeit und „Zeit
nehmen“, oder bin ich hier vorurteilbehaftet?) eine Meta-Idee ist oder in den
ganzen Strudel der Selbstoptimierung gehört und dem Streben nach
Perfektionismus unserer Zeit geschuldet ist. Wir müssen attraktive,
aufgeklärte, emanzipierte Frauen, aufgeklärte und verständnisvolle
Partnerinnen, erfolgreiche Unternehmerinnen und natürlich auch gerne gute
Mütter sein. Und ja, Zeit für sich nehmen sollte man auch unbedingt. Meditieren
ist schick. Yoga sowieso. Und damit man dabei auch noch den Anspruch auf gutes
Aussehen abdeckt, blinkt Zalando uns in großen Lettern seine Sportkleidung
entgegen. Doch tun wir hier wirklich etwas für uns? Hilft uns das „Slow
Movement“ aus dem Hamsterrad der ewigen eigenen / äußeren Ansprüche an die
eigene Person auszubrechen? Ich bin nicht sicher. Aber von Hause aus eher
Optimist, mag ich es glauben. Ich glaube an eine Welt der Guerilla-Gärtner, der
Mehrgenerationen-Häuser und der Auszeiten. Und dass wir es lernen können, zu
erkennen, was im Leben wirklich wichtig ist. Und das sind eben nicht ein dickes
Auto, der Prestige-Job oder die schicken Kinder.
Sondern
die Meta-Ebene. Sich der Umwelt nicht nur für einen kurzen Moment, sondern lange
genug zu entziehen, um zu merken, womit man sich beschäftigen möchte. Und diese
Momente findet man eben oft in Tätigkeiten, die wir an Roboter abgeben. Mechanische
Tätigkeiten, die den Körper beschäftigen und den Geist leer laufen lassen. Ein
Auto waschen, Gemüse schneiden, spazieren gehen, ein Bild malen, stricken, einen
Zaun streichen, all diese Bewegungsabläufe helfen uns, die Gedanken zu befreien
und erst einmal eine Meta-Ebene einzunehmen. Großartig funktioniert das in der
Natur. Wenn man Bäume um sich herum hat, oder Wasser, idealerweise ist man
allein und besinnt sich ganz auf die Schönheit, die einen umgibt. Aber manchmal
reicht einfach auch ein atemberaubender Sonnenaufgang auf dem Weg zur Arbeit,
um uns Demut zu lehren und zeigt, wie man den Moment genießt und auskostet.
Stricken ist Zen pur |
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